Klariss Breitenschild
2001-01
von Andreas Fischer
- 1. Segment - Schmerzen
Mit einem fröhlichen Gesang wecken die ersten Singvögel den vermeintlichen Lumpenhaufen, der sich kaum merklich bewegt und leise wimmert.
Ihre Schmerzen sind wieder da, die Bilder ihrer Marter blendet ihr Unterbewußtsein für Bruchteile von Sekunden immer wieder ein, Zu schwach um aufzustehen liegt sie gekrümmt am Boden und versucht wieder in den rettenden Schlaf zu finden, um vor dem schrecklichen Wachzustand zu entkommen. Immer wieder flammt ein anderer Schmerz auf und peinigt sie aufs neue. Einen klaren Gedanken zu fassen ist ihr ebenfalls nicht möglich, durch diese Flut an hereinkommenden Nervensignalen ist ihr Kopf ein regelrechtes Tollhaus, in dem jede unangenehme Empfindung um Beachtung buhlt.
Ob Gevatter Tod bald eintrifft und mich von dieser schrecklichen Folter erlösen wird. hofft sie unter diesen unerträglichen Schmerzen und fällt endlich in ein tiefes Schwarz zurück.
Ein leises Scheppern dringt an ihr Ohr. Ihr Kopf wird für einen kleinen Moment klar, erleichtert wird ihr bewußt, daß die Schmerzen an Intensität verloren haben. Noch toben sie durch ihren Körper, aber längst nicht mehr so stark, wie kurz davor.
Moment, ihr ist klar, daß es eigentlich nicht möglich sein kann. Sie vermißt das kühle, feuchte Gras an ihrem Körper, der jetzt entspannt auf einem warmen Strohlager liegt. Gedämpfte Stimmen sprechen über sie.
"Ich glaube, sie ist wieder aufgewacht...sieh nur, wie ihre Lider zucken..."
"Wird auch langsam Zeit, ich will endlich weiter!"
"Rhonda, bitte! Zeig doch auch mal Mitgefühl..."
"Schsch Pagadon, ich glaube, sie will was sagen!"
"W...w...o...o...o" zu mehr ist sie nicht fähig, ihre Augenlider zittern zwar, bleiben aber geschlossen.
"In Sicherheit..." meint die männliche Stimme.
"Wer hat Euch dies angetan?" fährt die weibliche Stimme ungeduldig dazwischen.
"Rhonda, schau Dir doch mal bitte ihren blaugrünen, geschwollenen Mund an. Glaubst Du etwa wirklich, daß sie Dir jetzt erzählt, wer sie so entstellt hat?"
"N...n...i..." stottert sie mit letzter Kraft, bevor sie wieder in dieses schmerzloses Dunkel fällt.
Kaum wieder bei Bewußtsein, heißen sie ihre Schmerzen willkommen, aber sie sind längst nicht mehr so schlimm, wie an ihrem letzten Tag bei den Paladin der dunkelblauen Robe. Endlich kann sie auch wieder klar denken, vorsichtig öffnet sie ihre Augen, die gegen ein gedämpftes Licht anblinzeln.
Im selben Moment legt sich ein, nach Kräuter riechender, Lappen auf ihre Augen, der sofort wieder weggenommen wird.
"Oh... ihr seid wieder da, wie schön!" die angenehme Stimme des Mannes ist reines Labsal für ihre geschundene Seele.
"Eure Schwellungen sind schon nicht mehr so schlimm, ihr genest schnell. Wollt Ihr mir Euren Namen verraten?
Sie versucht ein Lächeln, doch ein stechender Schmerz aus den Mundwinkeln hindert sie daran. Langsam öffnen sich ihre geschwollenen, blau gefärbten Lippen. Einem heiseren Krächzen gleich flüstert sie ihren Namen, "K...kl...lll...a....r...r...i...s...s...s..."
2. Segment - Charme
Tage vergehen. Klariss, einst grün und blau geschlagener Körper gewinnt mit jedem Kräuterbad an Kraft und Vitalität zurück.
Pagadons Fragen weicht sie einfach aus, indem sie ihn nur freundlich anlächelt und schweigt. Sie mag niemanden sagen, woher sie kam und was geschehen war. Zu groß ist ihre Schuld und Schmach, die auf ihr lastet.
"Ich singe Euch ein schönes Lied, aber Ihr müßt mir versprechen, wenigstens eine meiner Fragen zu beantworten."
Pagadons Stimme gleicht einer sympathischen Melodie, die es vermag sie unweigerlich zum Lächeln zu bringen. Stumm schaut sie in die großen, aufgeweckten Augen dieses lieben Mannes und nickt schließlich.
Mit einer flinken Bewegung hat Pagadon seine Leier gegriffen und beginnt eine fröhliche Melodie zu zupfen.
"Das Vorspiel!" schmunzelt er und beginnt mit einer hellen, kräftigen Stimme sein Lied:
Deinen Augen glänzen in diesem Licht,
ich bin der Stier, du meine Kuh,
in meinem Herzen lebst nur..."
"PAGADON!" eine zornige, weibliche Stimme zerschneidet mit einem groben kühlen Ton, die entspannte Atmosphäre.
Dumpf fällt die Leier zu Boden, während Pagadon und Klariss schuldbewußt zusammenzucken.
"Du solltest sie pflegen und ihr nicht schöne Augen machen...Kann sie endlich reden?" Ihre Stimme klingt schroff und trocken, während ihre Augen die beiden böse anfunkeln. "Kaum ist der Barde allein, schon klingt seine Leier wieder..."
"So sind wir Barden..."
"SCHWEIG!" ihr unbeherrschtes , tiefes Brüllen verursacht eine Gänsehaut auf Klariss Haut, "und nun zu Euch!" Ihr erbarmungsloser Blick lastet auf Klariss, "Wer seid ihr und was war mit Euch geschehen?"
Klariss zuckt wieder zusammen, die Bilder ihrer Folter erscheinen für kurze Augenblicke vor ihrem geistigen Auge, ihr Mund öffnet sich und schließt sich wieder. Unfähig ein Wort zu sprechen, schaut sie die herrische Frau, verängstigt an.
"Sprecht endlich!" Klariss spürt den heißen Atem der aufgebrachten Frau, sieht wie ihr Kopf zornesrot wird, aber sie schweigt. Niemand wird es erfahren, niemand. So wie die Paladin der Dunkelblauen Robe nie erfahren werden, was mit Endrik geschah, so wird auch diese Frau nie erfahren, wer sie so mißhandelt hat.
"Pagadon, geh mal vor die Tür!" herrscht Rhonda den schweigenden Barden an.
"Warum? Was soll ich da?" seine Stimme klingt kleinlaut und verhalten.
"Hack Holz, jage Tiere, sammele Beeren... egal was, aber mach es und verschwinde endlich!"
Widerwillig erhebt sich Pagadon und wirft seiner Rhonda einen fragenden Blick zu, während er die Hütte verläßt. "Was sie wohl vor hat?" denkt er sich.
"Ihr habt eine Zunge, Zähne und einen Mund, warum redet Ihr nicht endlich? Muß ich es aus Euch herausprügeln..." Rhonda hält überrascht inne, sie versteht es auf einmal. Ihr Gesicht entspannt sich merklich und in ihre Stimme fließt wieder Milde ein. "Das ist es...weil Ihr nicht redet, wurdet Ihr so zugerichtet... Ihr hütet ein Geheimnis... ich beginne zu verstehen..." Mit Gewalt komme ich nicht weit bei Ihr! denkt sich Rhonda und lächelt die verstörte Klariss entwaffnend an. "Hier seid Ihr in Sicherheit, niemand wird Euch anrühren, solange ich, Rhonda Lautenschmied, in Eurer Nähe bin. Ruht Euch nur aus, ich werde über Euch wachen!"
Ungläubig starrt Klariss Rhonda an, dieser Stimmungswechsel kam ihr zu plötzlich und unerwartet. Was führt diese Rhonda nur im Schilde? Mit dieser Frage schließt sie erschöpft ihre Augen und fällt in einen traumlosen Schlaf.
3. Segment - Häscher
Ein heller , warmer Sonnenstrahl tanzt fröhlich auf ihrer Nase und läßt sie wieder wach werden. Verschlafen öffnen sich ihren Augen. Neugierig blickt sie sich um. Diese seltsame Frau, Rhonda, und deren Mann (?) Pagadon sind nicht da, lediglich zwei herumliegende Rücksäcke und ein Deckenknäuel zeugen davon, daß jemand hier war oder ist.
Wo die beiden wohl sind? Ihre Beine scheinen aus Wackelpudding zu bestehen, sie möchte aufstehen, doch es geht nicht. Die Beinmuskeln verweigern ihren Dienst und sie fällt auf ihr weiches Lager zurück. Im selben Moment fliegt die Tür auf und Gestalten in dunkelblauen Roben dringen ein.
"Deine Marter ist noch nicht zu Ende, Klariss!" höhnt eine, ihr wohlbekannte Stimme. "Sag uns endlich, was mit Endrik geschah, damit wir gerecht über dich richten können!"
Klariss steckt der Schreck tief in den Gliedern, die Angst schnürt ihr den Hals zu. Wie gelähmt, sitzt sie auf ihrer Lagerstätte und starrt, mit Panik in den Augen, auf die dicken Holzknüppel in den Händen der Gestalten. Klariss weiß, daß sie nicht flüchten kann, sie ist ihnen hilflos ausgeliefert.
Da treffen sie auch schon die ersten Knüppel an Kopf und Brust. Ihr entweicht ein markerschütternder Schrei aus Angst und Schmerz.
"Sprich endlich!" fordert ihre Lehrmeisterin unnachgiebig und läßt ihre Keule, auf die sich vor Schmerzen hin und her windende Klariss, erneut sprechen.
Wieder legt sich der barmherzige Mantel der Bewußtlosigkeit über die junge, gepeinigte Frau.
Wieder Schmerzen. Unfähig, ihre >Glieder zu rühren, liegt sie auf Stroh und bemerkt, daß etwas Kühles auf ihrer Stirn liegt.
"Seid Ihr wieder da?" es ist die Stimme des netten Mannes, wie hieß er gleich noch mal... Pa.. Pagadon. Vergeblich versucht sie ihren Mund zu öffnen. Ihre geschundenen Lippen zittern zwar, aber es bleibt bei diesem Versuch.
"Man hat Euch diesmal noch schlimmer zugerichtet!" erklärt Pagadon traurig und wechselt den wohlriechenden Lappen auf ihrer Stirn.
In Klariss wandern ihre ungestellten Fragen rastlos hin und her. Wo sind die Paladin hin? Lebt Rhonda noch? Wo war Pagadon? Wann kommen die Paladin wieder? Sie möchte Antworten, aber sie muß sich noch gedulden.
"Schlaft jetzt!" ermuntert Pagadon die schwerverletzte Frau, "um so eher wird wieder Eure Schönheit aufblühen. Klariss versucht ein dankbares Lächeln, doch es klappt nicht. Ihr scheint, als ob jemand den Raum betritt.
"Und... schläft sie?" Es ist die Stimme von Pagadons Frau(?), Rhonda.
"Ich glaube schon. Sie war gerade mal kurz da, aber jetzt... ich denke mal, daß sie wieder schläft. Hattest Du Erfolg?"
Rhonda lacht kühl auf. "Erfolg? Ich habe noch gar nicht richtig angefangen, da sprudelte schon alles aus ihr heraus..."
Ihr...das Wort sorgt in Klariss für weitere Unruhe, sie war schon fast wieder müde weggedriftet, nun ist sie wieder hellwach. Gespannt horcht sich weiter.
"Und warum hat man..."
"Tja, Pagadon, wie soll ich Dir das anschaulich erklären?" beginnt Rhonda.
"Ich bin nicht doof, los sag es mir ohne viele schöne Worte, das kann ich nämlich besser als DU!"
"Mag sein..." Rhondas Worte klingen auf einmal anders, sehr ernst. "Aber stell Dir doch mal vor, du hast noch gar nicht richtig angefangen und schon ist alles vorbei?"
"Wie alles vorbei?"
"Nun ja...", Rhondas Stimme klingt ein wenig belegt, "Sie ist vor Angst gestorben!"
"Nein, das glaube ich nicht... Rhonda, du machst einen bösen Scherz, oder ?"
"Nein, nein, nein. Beim Anblick meines Dolches sank sie in sich zusammen und machte keinen Mucks mehr..."
"Seltsam..."stimmt ihr Pagadon zu.
Lediglich Klariss glaubt zu wissen, warum sie, ihre Lehrmeisterin(?),so einfach starb, aber sie würde es den beiden nie erzählen.
4. Segment - Abschied
Traurig schaut Pagadon Klariss hinterher. Wochenlang hat er sie mit Rhonda gemeinsam gepflegt und beschützt und nun... jetzt geht Klariss einfach weg. Er kann es nicht verstehen, doch sie wird ihre Gründe haben, trotzdem findet er es nicht richtig.
Rhonda, die neben ihr steht, lächelt wissentlich. "Sie kommt wieder, Pagadon. Ganz gewiß, nun laß uns auch gehen, ich habe durch sie einige Tage verloren. Wenn wir Tseren den Glatzköpfigen noch kriegen wollen, dann sollten wir langsam wieder losziehen.
Pagadon nickt und schaut ein letztes Mal Klariss hinterher. Wo sie nur hingehen wird?
Rhonda greift in ihre Tasche, doch statt Tserens Steckbriefs hält sie ein Pergament in der Hand, fast hätte sie es vergessen.
"Du kannst doch sicher auch diese Schrift lesen, oder?"
Pagadon schaut Rhonda mit versteckten Tränen im Gesicht an, "Welche denn?"
"Diese..." sie hält Pagadon die Schriftrolle hin, "jetzt wo sie weg ist, lies es mir vor. Bitte!"
Erstaunt greift er danach und überfliegt es. "Woher hast Du es?"
"Von dieser weibliche Paladin, die ich ausfragen wollte."
"Ah ja", Pagadon räuspert sich und liest es vor:
"Tag 101, Jahr 40 n.F.U.
Mir wird der Priester vorgestellt. Ein älterer Mann, so um die vierzig Jahre alt, seine Haut ist so grau wie sein Haar. Er stellt sich mir als Endrik, Priester des Sono vor.
Seit wann unterstützen wir Paladin der Dunkelblauen Robe die Geistlichkeiten eines anderen Glaubens. Ich wage die Frage meiner Lehrmeisterin nicht zu stellen, sonst würde ich ja zugeben, bei den Unterweisungen nicht immer aufgepaßt zu haben.
Nach dem Mittagsmahl wird mir mitgeteilt, daß Endrik mich als Begleitung gewählt hat. Hatte ich wieder nicht richtig hingehört(?), ich wußte gar nicht, daß noch andere Novizen zur Auswahl standen. Zukünftig werde ich besser zuhören!
Wir brechen sofort auf, um den Tempel der vier Winde noch bei Tageslicht zu erreichen.
Endrik ist nicht sonderlich schweigsam, die ganze Zeit singt er frohe Lieder und preist die Göttin Tromothan. Ich horche interessiert auf, hatte man mir nicht damals erzählt, daß es keine Priester des SONO-Glaubens mehr gibt? Wieder einmal verfluche ich meine Unaufmerksamkeit bei den Unterweisungen.
Es kommt, wie es kommen mußte. Die hellen, freundliche Lieder des Priesters haben SIE angelockt. Wir geraten in einen Hinterhalt und werden, aus dem Rücken heraus, angegriffen. Endlich habe ich die Gelegenheit, meine Passion den Schwertkampf, unter realen Bedingungen zu erproben.
Wirklich beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit meine Schwerter den gepanzerten Körper des Orks durchstoßen. Sie zerschneiden ihn wie Butter und bleiben dabei unbefleckt.
Mache ich wieder alles falsch? Endrik beschimpft mich auf's übelste. Ich wäre zu impulsiv und hätte nicht die Besonnenheit einer Paladin. Trotzdem versuche ich ruhig zu bleiben und gelobe Besserung. Dieser Spinner!
Keine fünf Minuten später wendet sich das Blatt, ich werde von Endrik geradezu angefleht weitere heranstürmende Orks, ohne sie zu warnen, niederzumetzeln. Es ist doch erstaunlich, wie wenig ein Ork verträgt. Fast scheint es mir, daß die Orks in der Trainingsgrube stärker waren, als diese hier. Sollte das dicke Ende noch kommen?
Zumindest erreichen wir den Tempel der vier Winde noch vor Einbruch der Dunkelheit, ohne weitere Vorkommnisse. Meine Lehrmeisterin ist auch hier, ich bin gespannt, was sie von mir will.
Tag 102, Jahr 40 n.F.U."
Pagadon stutzt und glotzt ungläubig auf das Pergament. "Die nächsten Absätze kann ich nicht lesen, es ist eine Sprache die ich nicht kenne. Merkwürdig..."
"Lies da weiter, wo es wieder geht!" murmelt Rhonda gespannt.
"Am Abend erreiche ich wieder die Burg der Dunkelblauen Robe. Meine Lehrmeisterin ist wieder vor mir da, sie schaut mich verwundert an, fast so - als ob ich eine Geister-erscheinung wäre. Auf die Frage, wo Endrik sei, schaue ich betroffen zu Boden...
Es steht fest,... hurra... ich brauche kein Tagebuch mehr führen, zu schade nur, daß ich kein Dach über den Kopf mehr haben werde und sozusagen vogelfrei bin. Was soll's, irgendwie werde ich mich schon durchschlagen."
Pagadon schaut stumm zu Rhonda und dann wieder in die Richtung, in die Klariss ging. Sie ist kaum noch in der Ferne auszumachen, lediglich ein kleiner schwarzer Punkt in der unendlich scheinenden Öde des Landes, zeugt von ihrer Existenz.
"Ich verstehe langsam die Zusammenhänge. Unsere Klariss hat gehörig Dreck am Stecken und sie will es niemanden sagen. Pagadon, Tseren muß warten. Ich gehe ihr nach! Du gehst inzwischen nach Wolpa und machst dich schlau bezüglich der Paladin und dieses Pergaments, verstanden?"
"Aber ich würde lieber..." versucht Pagadon einzuwerfen, doch vergeblich. Rhonda gibt ihm noch einen hastigen Kuß auf dem Mund und geht Klariss hinterher.
5. Segment - Mut
Immer wieder schlägt das heilige Schwert auf das Holzschild ein. Mit jedem Schlag spritzen neue Splitter vom Schutz ab.
"Flieh!" grollt Klariss dem, um sein Leben kämpfenden, Ork zu. Mit ängstlichen, aufgerissenen Augen wehrt der Ork den nächsten harten Schlag ab. Er ist der letzte seiner Kampfgruppe, die in ihrem eigenen grünen Blut am Boden liegt. Ab und an stöhnt der eine oder andere auf, doch der Tod ist bereits in der Nähe und schärft seine Sense.
"Nun flieht endlich!" Klariss Aufforderung klingt schon fast nach einer Bitte, wieder schlägt das edle Schwert auf den Schild des Orks, das den Widerstand nicht länger halten kann, ein. Mit einem verhängnisvollen KRACK! bricht es auseinander. Mühelos dringt das helle Schwert in den Schädel der Kreatur ein und spaltet ihn. Seine Beine knicken weg und der Torso fällt dumpf zu Boden.
Stumm betrachtet Klariss ihre Tat, es war ein leichtes gewesen diese Gegner zu töten. Obwohl sie wochenlang nicht trainiert hatte, waren ihre Schläge treffsicher. Zu treffsicher... sollte es an diesem Schwert liegen, das einst ihrer Lehrmeisterin gehört hatte.
Ihr Atem geht immer noch schnell, ihr Herz rast. Auch wenn ihre Technik noch keine Schwächen zeigt, ihre Kondition hat stark gelitten. Wäre der Kampf nur ein wenig länger gewesen, dann hätte sie den Überfall nicht überlebt.
"Wir sind uns ähnlicher, als ich dachte!" Rhondas Kopf erscheint hinter einem der dichten, verdorrten Büsche, die in unendlich scheinender Zahl diese Öde bevölkern.
"Warum?" Klariss ringt immer noch nach Luft, schnell und unkontrolliert.
"Eure Schwerttechnik ähnelt meiner und ihr..." ein Lächeln umspielt Rhondas Mundwinkel, "habt genauso wenig Ausdauer wie ich. Ihr kämpft kurz und heftig..., wie ich!"
"Ihr wiederholt Euch, Kopfgeldjägerin. Auch wenn ich Euch mein Leben schulde, laßt mich alleine weiterziehen und hängt Euch nicht an mich. Jetzt, wo ich frei bin, möchte ich auch meine Freiheit genießen!" Klariss ernster Blick trifft Rhondas wachsame Augen, "Bitte! Kehrt zu Eurem Mann..."
"Mann?" Rhonda prustet lachend los, "Ihr denkt, Pagadon... wirklich komisch! Er ist mein Partner im geschäftlichen Sinn, mehr nicht. Er übernimmt das Lesen und ich den Rest!"
"Egal, laßt mich ziehen, bitte geht zurück!"
"Nein!" erwidert Rhonda bestimmt, "erst will ich wissen, was Ihr mit dem Priester, diesem Endrik gemacht habt!"
Klariss Mund öffnet sich und schließt sich wieder, ihm folgt eisiges Schweigen.
"Das ist auch der Grund, warum die Paladin Euch grün und blau schlugen, nicht wahr?"
Klariss schweigt und starrt Rhonda ungläubig an. Woher kennt sie Endrik, die Paladin hätten es ihr nicht verraten.
"Und die Sono - Religion existiert seit Foxens Untergang nicht mehr, was war nun mit Endrik? Nun sagt schon..." Rhonda zeigt ein wissendes Grinsen und erfreut sich an Klariss Gesichtsentgleisung.
Sie hat es niemanden erzählt, woher weiß es die Kopfgeldjägerin? Spricht sie etwa im Traum? Wieso kennt sie die Antwort auf ihre nie gestellte Frage?
"Wenn Ihr es mir nicht sagen wollt, dann werde ich Euch diesen blauen Paladin ausliefern. Nachdem IHR ja drei Paladin zusätzlich auf Eurem Sündenkonto habt, wird man mich sicher fürstlich entlohnen."
"Nein!" schreit Klariss wütend aus und hebt ihr heiliges Schwert, bereit einen überraschenden Angriff abzublocken.
"Ihr wollt einen Kampf? Gut, den könnt ihr haben. Gewinnt ihr, dann lasse ich Euch ziehen. Gewinne ich, dann erzählt mir die Wahrheit über Endrik!"
Rhondas Schwerter legen sich fast wie von selbst in ihre Hände und schwingen spielerisch auf und ab. "Was ist?"
Klariss weicht noch einen Schritt zurück und schüttelt den Kopf, "Nein, ich werde nur um meine Freiheit kämpfen, sonst nichts."
Rhondas Schwerter verschwinden wieder in ihrem Schwertgehänge.
"Schade!" bekundet Rhonda, "Wenn Ihr keinen lukrativen Einsatz bietet, ziehe ich mein Angebot zurück. Ihr könnt gehen, aber denkt daran, ich folge Euch und zwar solange bis ihr redet oder ich Euren Steckbrief in die Hand bekomme, dann werde ich Euch ausliefern und mich an Euren Schmerzenschreien erquicken!"
Klariss weicht weiter zurück und hält ihr helles Schwert fest umklammert.
" Was seid ihr nur für ein Mensch..."
"Kein Mensch..." frotzelt Rhonda zurück, "Halbelfin bin ich!"
"Abschaum! Nichts weiter als Abschaum seid ihr!" Klariss geht stetig weiter zurück, behält Rhonda aber konzentriert im Auge.
"Ihr solltet schon hinschauen, wohin ihr geht!"
"Wißt Ihr, wie alt dieser Trick ist? Den kannte schon mein Uronkel..."
Klariss läßt Rhondas Rat unbeeindruckt, trotzig weicht sie noch weiter zurück. Sie strauchelt und verliert fast das Gleichgewicht. Fast wäre sie über einen, dieser unzähligen Büsche gestolpert.
Rhonda hat die Situation nicht für sich ausgenutzt. Ruhig und besonnen steht sie da und genießt, wie unbeholfen Klariss immer weiter zurückweicht.
"Wir sehen uns dann am Abend wieder!" ruft Rhonda Klariss noch zu, dann wendet sie sich ab und wartet, wartet gespannt.
Gleich wir sie auf mich zustürmen, denkt Rhonda und macht sich kampfbereit. Kaum merkbar zittert der Boden unter ihr, sie hört ihr Schnaufen und reagiert. Wieder legen sich ihre Schwerter unglaublich schnell in ihre Hände, die sie zum Block kreuzt, als sie sich Klariss wieder zuwendet.
Die Angreiferin schreckt überrascht zusammen, erst jetzt wird Rhonda bewußt, daß Pagadon mit schwerem Atem vor ihr steht.
"DU?!" Rhonda ist für einen kurzen Moment verblüfft. "Was..."
"Ich weiß es jetzt, ich weiß jetzt warum!" schnauft Pagadon voller Enthusiasmus. "Es ist keine fremde Sprache, Klariss hat einfach nur die Worte rückwärts und von rechts unten nach links oben geschrieben.
Rhonda blickt stumm hinter Klariss her, deren Gestalt am Horizont immer kleiner wird. Hatte sie sich in ihr doch so getäuscht? Wäre es nicht logischer gewesen, wenn Klariss versucht hätte sie zu töten, oder..."
Sie schaut Pagadon mit einem Blick der Erleuchtung an, "Klariss ist keine Mörderin, habe ich recht?"
Pagadon nickt stumm und kramt die Rolle hervor. Mit trockener, Stimme beginnt er schnaufend zu lesen:
"Ich passiere mit Endrik die Stelle vom Vortag, Endrik schweigt und würdigt die zerfressenen Körper der Orks keines Blickes, Irgend etwas stimmt nicht mit ihm, er redet und singt nicht, fast schon teilnahmslos geht er neben mir her. Ich frage ihn, ob etwas los sei, doch er schüttelt nur den Kopf.
Wir befinden uns am Rande der Ödenlandschaft, als wir von vermummten Reitern bedrängt werden. Obwohl ich Endrik befehle, hinter mir Schutz zu suchen, entfernt er sich immer mehr von mir. Die Reiter weichen meinen Schlägen aus und versuchen mich einzukreisen. Endrik, der wohl Panik hat, versucht wegzulaufen, wird aber von Reitern gepackt und verschleppt. Die Reiter müssen es nur auf ihn abgesehen haben, denn sie ziehen sich zurück. Ich habe versagt und das Schlimmste ist, ich darf es niemanden sagen, da ich einst den Schwur der Blauen Robe leistete, der es Novizen verbietet über Fehlschläge zu sprechen."
Pagadon blickt Rhonda an, die verklärt schaut, "Mmh, auch ich habe heute etwas hinzugelernt!"
"Und was?"
"Mut bedeutet nicht unbedingt den Kampf zu suchen, es erfordert viel mehr Mut einen Schwur, selbst im Anblick des Todes oder unter unsagbaren Schmerzen, nicht zu brechen... Laß uns gehen..."
"Ich wußte gar nicht, daß Du philosophieren kannst..."
"Ich auch nicht Pagadon, ich auch nicht." Rhonda sieht dem kleinen Punkt am Horizont noch einmal nach. " Ich werde wohl nie so mutig sein, wie ihr Klariss. Ich schäme mich für meine gemeinen Worte, die Euch verletzt haben" murmelt sie kaum hörbar und setzt laut hinzu, "Wie werden sie wiedersehen, Pagadon, bestimmt!" *
Der ältere Mann mit grauem Haar öffnet verhalten die schmutzige Tür seiner brüchigen Holzhütte.
"Was wollt Ihr hier?" murmelt er leise, "Laßt mich doch in Ruhe!"
Die vermummte Gestalt schiebt sich, an ihm vorbei, in die Hütte hinein.
"Ihr erlaubt, daß ich ablege, Endrik!" Ohne auf eine Antwort zu warten, zieht sie den Umhang und den langen Schal ab.
"Ich heiße Hugon..." murmelt der Mann wütend und schließt die Tür. Mißtrauisch betrachtet er die Paladin, der ein Ohr fehlt.
"Warum so unfreundlich? Ich möchte Euch entlohnen, edler Endrik!"
"Ihr verspracht, mich nicht mehr aufzusuchen, also geht! Ich habe meine Schuld bezahlt und will kein Kopfgeld. Ihr habt doch das bekommen, was ihr wolltet"
"Irrtum Alter. Jemand hat Klariss vor drei Wochen weggeschafft und ich weiß jetzt, wer es war... IHR!" Im selben Moment schiebt sich ein rostiger, schmutziger Dolch unerbittlich in den Brustkorb des alten Mannes, der entsetzt auf die rote Färbung seines Wamstes schaut und sterbend zusammenbricht.
Sie schaut in seine hilfesuchenden Augen und spuckt ihm verächtlich ins Gesicht.
"Klariss sollte leiden, jeden Tag auf's neue. Niemand, nein wirklich niemand, schlägt mir ungestraft ein Ohr ab! Niemand!"
Andreas Fischer
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