Das Geheimnis der Schwarzen Bibliothek
2000-01
Von Zeit zu Zeit kommt man immer wieder einmal in die Lage¸ wo man den Gedanken des Rollenspiels gerne Neulingen nahe bringen möchte¸ ohne diese gleich mit einer Vielzahl undurchschaubarer Regeln zu konfrontieren. Vor dieses Problem gestellt¸ fragte ich vor kurzem im Rollenspiel-Laden einen Verkäufer um Rat¸ und wies darauf hin¸ daß an unserer Spielerrunde auch Kinder zwischen acht und zehn Jahren teilnehmen würden. Daraufhin griff der Mann zielsicher ins Bücherregal und präsentierte mir "Das Geheimnis der schwarzen Bibliothek" aus dem Drachenland Verlag. "Das hier!"¸ waren seine begleitenden Worte¸ die auch nicht den kleinsten Hauch eines Zweifels an seiner Entscheidung zuliessen.
Schon gleich im Vorwort des 65 Seiten starken DIN A4 Heftes wird klar¸ daß man es hier mit einem ungewöhnlichen Band zu tun hat: "Die Schwarze Bibliothek" erhielt den Sonderpreis für das ausgefallenste Abenteuer auf der Braunschweiger Schelmin¸ da sie sich nicht so recht in eine der gängigen Kategorien einordnen ließ.
Wie läßt sich das Spiel nun aber beschreiben?
Angesiedelt ist die Geschichte im Bereich der¸ ich würde mal sagen¸ "märchenhaften Fantasy". Ein Magier hat sich beim Zaubern ziemlich vertan¸ mit dem Erfolg¸ daß er selbst versteinert und der Rest der Bevölkerung in Däumlinge verwandelt ist. Aus allen Landesteilen werden nun Delegationen von Helfern entsandt¸ die in seiner schwarzen Bibliothek nach den Siegelmessern zu seinem Buch mit dem Gegenzauber suchen sollen. Der Haken dabei ist nur¸ daß diese Messerchen in anderen Büchern versteckt sind¸ genauer gesagt¸ in den Geschichten in anderen Büchern! Wer schon einmal das Computerspiel Myst oder seinen Nachfolger Riven genossen hat¸ ahnt¸ was auf die Spieler zukommt: sie sollen in die verschiedenen Bücher schlüpfen¸ und dort nach den Messern suchen.
Zur Auswahl stehen den Spielern dabei vier mögliche Rollen¸ die sie bei jedem der 13 angebotenen Bücher auch neu wählen können: der Elfling (redegewandt und pflanzenkundig)¸ der Medicus (Heiler)¸ der Drache (kann fliegen und Feuer speien¸ hat aber enorme Angst vor Mäusen) und das Irrlicht (leuchtet¸ solange es die Luft anhält). Einzige weitere Statistik der Charaktere sind ihre Stärkepunkte¸ mit denen es natürlich hauszuhalten gilt.
Die einzelnen Bücher der "Schwarzen Bibliothek" entführen die Spieler in so unterschiedliche Welten wie den Blocksberg in der Walpurgisnacht¸ eine eisige Tundra¸ den tropischen Urwald und ein vampirverseuchtes Dorf¸ selbstverständlich mit dazugehörigem Schloß. Und in jeder dieser Welten sehen sich die Spieler mit anderen Problemen konfrontiert: zum Teil gilt es¸ Rätsel zu lösen und so schließlich das Siegelmesser zu entdecken¸ zum Teil ist es manchmal zuerst einmal nötig¸ die Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Welt herauszufinden. Erschwert wird die Wahl der richtigen Bände durch Unglücksraben¸ die sich in einigen der Bücher verbergen. Stößt man auf einen dieser Raben¸ rückt die Uhr in der Bibliothek unaufhalltsam um eine Stunde vor. Wenn die Uhr Mitternacht schlägt¸ ist der fehlgeleitete Zauber nicht mehr rückgängig zu machen und die Mission der Spieler gescheitert. Sind aber alle Siegelmesser rechtzeitig gefunden¸ wartet zu guter Letzt noch das Buch der sieben Siegel mit einem letzten Rätsel auf.
Das Abenteuer ist vollkommen systemunabhängig. Es definiert seinen eigenen Satz an Regeln¸ die mit wenigen Erklärungen und alleine mit sechsseitigen Würfeln auskommen. Die Spieler (und auch der Spielleiter) haben dadurch die Möglichkeit¸ sich fast ausschließlich auf die Geschichten und ihr Rollenspiel zu konzentrieren¸ ohne viel Zeit mit dem Erlernen komplizierter Spieltechnik zubringen zu müssen. Der erprobte Monsterkiller wird zwar enttäuscht sein¸ daß das Spiel fast vollständig ohne die branchenüblichen Kämpfe auskommt¸ doch sensiblere Eltern kleinerer Spielteilnehmer oder neue Spieler¸ die dem Gewaltaspekt des Rollenspiels manchmal ohnehin nicht viel abgewinnen können¸ werden dies zu würdigen wissen. Und man sollte nicht unterschätzen¸ wie hochgradig dramatisch eine Auseinandersetzung mit einem Vampir sein kann¸ wenn man ihm mit nichts als einer halb vertrockneten Knoblauchzehe bewaffnet gegenüber tritt! (Uups¸ sollte ich jetzt doch etwas verraten haben?) Der Tod der Charaktere ist in dieser anfängerfreundlichen Welt nicht möglich; sie werden bei gravierenden Fehlern stets nur aus dem jeweiligen Buch heraus und zurück in die Bibliothek geschleudert. Dort erholen sie sich und müssen zur Strafe eventuell mit ansehen¸ wie die weniger unvorsichtigen Spieler eines der Abenteuer ohne sie lösen. Beim nächsten Buch können sie dann aber schon wieder mit dabei sein.
"Das Geheinis der schwarzen Bibliothek" besticht durch seine Abwechslungsreichheit¸ seinen Charme¸ der in den liebevoll ausgearbeiteten Szenen immer wieder hervorkommt¸ und nicht zuletzt auch durch seine Spannung (was ich¸ als alter D&D Haudegen¸ zugegebenermaßen in diesem relativ friedlichen Spiel zunächst gar nicht für möglich gehalten hätte).
Zu kritisieren ist aus meiner Sicht nur wenig. Vielleicht wäre es sinnvoll¸ sich eine Alternative zu überlegen zum weiteren Vorgehen beim Scheitern einer Mission: Vorgesehen ist¸ daß im - ziemlich unwahrscheinlichen - Fall eines kompletten Fehlschlags alle in einem Buch erworbenen Gegenstände dort zurückbleiben. Die aus dem Band geschleuderten Spieler müssen das Buch dann noch einmal von vorn beginnen¸ und die bereits vollbrachten Taten wiederholen¸ ähnlich wie bei einem Computerspiel ohne vernünftige Speichermöglichkeit. Das Einführen von Rückfallpositionen oder alternativen Routen wäre hier wünschenswert. Ein weiterer Kritikpunkt sind einige kleinere logische Lücken¸ die einem als Spielleiter natürlich meist erst dann auffallen¸ wenn die Spieler gerade auf dem besten Wege sind¸ diese zu ihrem Vorteil zu nutzen.
In Anbetracht der Tatsache¸ daß man dieses Abenteuer zumeist mit unerfahreneren Spielern durchleben wird¸ empfiehlt es sich¸ dafür etwa 2 bis 3 Abende einzuplanen. Da den Spielern von Anfang an alle 13 Bücher zur Auswahl stehen (na gut¸ es sind ein paar weniger¸ weil sich in manchen nur Raben verstecken)¸ muß der Spielleiter das komplette Abenteuer vorbereitet haben¸ wenn er nicht unerwartet ins Schleudern kommen will. Allerdings sind die einzelnen Geschichten relativ einfach und überschaubar¸ so daß sich der Vorbereitungsaufwand in Grenzen hält.
Die gestalterische Aufmachung des "Geheimnis der Schwarzen Bibliothek" kann vielleicht nicht ganz an das Layout professionellerer Hochglanzprodukte heranreichen¸ doch tut dies dem Spielgenuß hier keinerlei Abbruch.
Alles in Allem kann man der Autorin nur herzlich gratulieren zu einem kleinen Meisterwerk¸ das bestens dafür geeignet sein dürfte¸ dem Rollenspiel viele neue Freunde zu bescheren.