Space Gothic Grundregeln
2000-01
Die unendlichen Weiten der Galaxien...
Da ich 2000 erstmalig die Chance hatte¸ über längere Zeit in einer Space-Runde mitzuspielen (und mich das auch noch begeistern konnte!)¸ schenkte ich auf der Spielemesse dem einzigen 'ganz deutschen Weltraum-Rollenspiel' Space Gothic natürlich besondere Aufmerksamkeit.
Space Gothic ist kein Newcomer¸ ganz im Gegenteil¸ das System existiert schon seit etwa 13 Jahren. Die jüngste Ausgabe der Grundregeln stammt von 1997 und präsentiert sich in einem recht fetten Softcover¸ was vor allem auch an den enthaltenen Abenteuern liegt.
Die Space Gothic -Historie beginnt im Jahr 1999 und beschreibt bis 2243 eine ziemlich düstere Zukunft. Das man es mit einem europäischen (bzw. deutschen) Rollenspiel zu tun hat und keinem US-Produkt¸ wird einem schon an den irdischen (bzw. terranischen) Entwicklungen schnell bewußt. Das geeinte Europa (ESU¸ Europäische Staatenunion) und ein paar Bündnispartner (z.B. Lateinamerika) überstehen dank fortschrittlicher Technologien (Paladin-Schirme) den unvermeidbaren atomaren Krieg und bilden schließlich die Terrane Staatenunion. Im Gegensatz dazu mutieren die Bewohner der meisten anderen Großmächte unter den Strahlungseinflüssen zu sogenannten "Nukes"¸ degenerierten Mutanten und hochintelligenten PSI-Monstern.
Weltraumflüge werden durch eine neue Energiequelle revolutioniert und Raumsprünge ermöglichen die Eroberung ferner Galaxien. Für den Schutz der Kolonien (vor Piraten und anderen Kolonien) sorgt die terranische Raummarine und die konkurrierenden PTI-Konzern-Soldaten (PTI ist der Marktführer in Raumschiffstechnik). Da die Raummarine technologisch unterliegt und an den Rand gedrängt wird¸ besinnt man sich auf alte ritterliche Tugenden und religiöse Glaubenbekenntnisse. Turniere und mittelalterliche Etikette werden vielerorts zum gesellschaftlichen Ideal und Unterhaltsamen Zeitvertreib.
Aus der einst rein staatlichen Raummarine werden der Kreuzritterorden (christlich)¸ die Samurai (buddistisch/shintoistisch) und die Wölfe der Mahdi (muslim) - die auch wesentlich durch ihre religiösen Führer mit beeinflußt werden. Diese Änderungen haben wesentliche Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Kampfmoral der staatlichen Armee und den religiösen Glauben der Menschen insgesamt - eine Art von futuristischem Mittelalter etabliert sich.
Insgesamt ist der Hintergrund von Space Gothic sehr umfangreich. Jeder SciFi/Space-Fan dürfte eigentlich voll auf seine Kosten kommen.
Auf Aliens wird - zumindest im Grundregelwerk - nur am Rande eingegangen - und als Spielerrassen sind eh nur Menschen geeignet. Statt Aliens gibt es aber z.B. die Mutanten (Psiter und Nukes)¸ mit denen man auf der Erde schon genug Ärger hat. Darüber hinaus gibt es Roboter und (inzwischen illegale) menschenähnliche Androiden.
Das Regelsystem
Die Charaktererschaffung erinnerte mich irgendwie direkt an Midgard oder AD&D: ein Pulk von neun Attributen und dazu eine Menge teils kompliziert abgeleiteter Basiseigenschaften (z.B. Bewegungsweite¸ Schadensbonus usw.). Herausstechend ist dabei die Glück-Eigenschaft¸ mit der sich einmal täglich die Auswirkungen einer (meist tödlichen) Spielsituation verharmlosen lassen.
Space Gothic gehö;rt zu den sogenannten Negativ-Systemen¸ d.h. bei Proben (W%) ist es besser¸ möglichst niedrige Werte zu erwürfeln. Fällt beim Prozent-Wurf ein Pasch¸ so bedeutet dies ein kritisches Ergebnis¸ das je nach Vorzeichen kritisch gut oder kritisch schlecht für den Charakter ist. Der Wert des Pasch gibt zudem Auskunft über die Intensität (d.h. eine 11 ist genial und eine 99 zwar kritisch aber unteres Niveau).
Ein wenig nervig ist die Würfelvielfalt (W3¸ W4¸ W6¸. W8¸ W10)¸ die bei der (recht tödlichen) Schadensermittlung einer Waffe erforderlich ist. Erinnert ein wenig zu sehr an AD&D. Positiv ist dagegen der Einbau von Trefferzonen¸ die eine differierte Ermittlung und Protokollierung von Körperschäden ermöglicht.
Die Charaktererschaffung ist elegant geregelt (was die negativen Aspekte der abgeleiteten Basiseigenschaften relativiert) - für jede Charakterklasse (z.B. Gentleman¸ Med-Tech¸ verschiedene Soldatentypen¸ Pilot¸ Pirat¸ Polizist¸ Detektiv¸ Schmuggler¸ Techniker¸ Wissenschaftler uvm.) gibt es ein spezielles Blatt¸ daß die wichtigsten Regeln und Hinweise zusammenfaßt und so eine schnelle Erschaffung ohne Seitenblättern ermöglicht. Darüber hinaus wurde der ganze Prozeß aber auch sehr übersichtlich auf einer Doppelseite skizziert.
Aber auch sonst lassen sich Tabellen durch komprimierte Tabellenblätter am Bandende recht schnelle wiederfinden - damit läßt sich auch recht einfach ein Sichtschirm herstellen.
Die Charaktererschaffung ist in zwei Teile gegliedert: zuerst erwürfelt und errechnet man die Basiseigenschaften¸ dann kann man mit einem Kaufsystem zusätzliche Fertigkeiten erwerben¸ deren Auswahl (und Maximalwert) übrigens von der gewählten Charakterklasse abhängen.
Das Space Gothic-Charakterblatt nimmt drei Seiten ein. Seite 1 enthält die Basiswerte¸ die Trefferzonen und die Fertigkeitswerte. Blatt 2 listet die Ausrüstung (inkl. Munitionsübersicht). Das dritte Blatt stellt die "Persönliche Akte des Terranischen Sicherheitsarchivs" dar¸ das die wichtigsten sozialen Informationen für den SL bereithält. Darüber hinaus gibt es für den SL kompakte NSC-Charakterbögen und Spiel-Protokolle.
Abenteuer Weltraum...
Für die ersten Schritte als Space Gothic-Spielleiter eignen sich die drei beiliegenden Abenteuer recht gut. Zur Auswahl stehen ein Bandenkrieg¸ eine Bergungsmission und ein Eskortauftrag mit Alienkontakt.
Die Abenteuer sind recht übersichtlich strukturiert und leicht vorzubereiten. Eine gelungene Beilage sind detaillierte Übersichtskarten und Spieler-Handouts.
Die Abenteuer sind von unterschiedlichem Umfang und Schwierigkeitsgrad.
Technisches
Man merkt durch den ganzen Band hindurch¸ daß sich hier jemand eine Menge mühe gegeben hat¸ um eine ordentliche Arbeit abzuliefern. Das beginnt bei ordentlich geschriebenen und gut lektorierten Texten¸ einfachen aber guten Illustrationen und sehr praxisnahen Übersichtsseiten und Tabellenblättern.
Ein zusätzliches Bonbon sind die Regelhinweise und Zitate terranischer Bürger am Seitenrand.
Bemerkenswert ist die hohe Zahl an Ausrüstungsillustrationen¸ Symbolen und Wappen.
Die Bindung als Softcover ist für einen solch wichtigen Band nicht gerade die beste Lösung. Wer die Klebebindung über längere Zeit strapaziert¸ wird mit losen Seiten rechnen können. Ansonsten hilft nur pfleglicher Umgang.
Fazit:
Space Gothic ist ein ziemlich gutes SciFi-Rollenspiel mit glattem Regelsystem. Der Hintergrund ist bereits im Grundregelwerk recht stimmig ausgearbeitet (wenn auch wissenschaftlicher Humbug¸ eben SciFi) und erfrischend unamerikanisch. Der vorliegende Band macht einen sehr weit entwickelten Eindruck und das Paket aus Grundregeln¸ Spielwelt¸ Abenteuern und Tabellenblättern ist sehr praxisgerecht.
Der Support mit Quellenbänden¸ Abenteuern und Homepage ist sehr engagiert und macht Space Gothic zu einem "lebendigen" Rollenspiel.
Dogio the Witch |