Shadowrun: Brainscan
2000-01
Der vorliegende Band Brainscan ist eine Kampagne aus fünf scheinbar lose miteinander verbundenen Abenteuern. Die Handlung spielt in Seattle zur Zeit der Abschottung der Renraku-Arkologie¸ wie man sie auch sehr passend im Quellenband Renraku-Arkologie: Shutdown beschrieben findet. Dieser Quellenband ist übrigens (zumindest für die erste Hälfte des Bandes) nicht zwingend notwendig¸ liefert jedoch für das Ende der Kampagne wichtige Detailinformationen¸ auf die man nicht verzichten sollte.
Gestalten sich die ersten Runs für einigermaßen brauchbare Runner noch relativ übersichtlich¸ steigert sich (natürlich) die Schwierigkeit und damit die Möglichkeit derbe Rückschläge zu erleben. Das erfordert von den Runnern ein zunehmendes Maß an Professionalität¸ d.h. das kopflos agierende Troggies nicht allzu weit kommen werden.
Um Shadowrun-Spielern mit dieser Rezension nicht den Spaß zu rauben¸ können sich Shadowrun-Spielleiter hier etwas mehr Informationen zum Verlauf anlesen.
Was geht bei Brainscan ab?
Der Spielleiter führt seine Chummer in den ersten Runs ein wenig an der Nase rum. Die ultramächtige KI namens Deus¸ die vor kurzem die Renraku-Arkologie übernommen hat¸ setzt die Runner für ihre neuesten Pläne ein: Die Verhinderung ihrer Vernichtung¸ die Flucht aus der Arkologie und die zunehmende Kontrolle externer Ressourcen. Durch die wachsende Bedrohung der autarken Arkologie durch die Regierungstruppen und interne Widerstandskämpfer¸ sieht sich die KI immer stärker unter Zugzwang gesetzt¸ eine Alternative zu ihrem derzeitigen Schlupfwinkel zu finden. Zudem gibt es auch noch einige Altlasten¸ die es zu entsorgen gilt.
Die Runner fungieren anfangs als Spielfiguren von Deus und versetzen dadurch sogar Seattle in einen Ausnahmezustand. Später erkennen sie ihren den wahren Auftraggeber und können sich der Gegenseite anschließen¸ um den Bemühungen der KI einen ganz derben Rückschlag zu bescheren...
Die Kampagne fängt - in den Augen der Spieler - zwar geradezu lächerlich unterfordernd an¸ aber der Spielleiter kann sich ja derweil schon mal ins Fäustchen lachen¸ da er die Hintergründe ja kennt. Seinen Spielern zu erzählen¸ daß man bei der nächsten Spielrunde mit der Brainscan-Kampagne beginnt¸ bedeutet den Chummern - und damit letztendlich auch sich selbst¸ den Spaß zu versauen. Je weniger die Spieler (anfangs) über die Verbindungen ihrer Aufträge zur verseuchten Renraku-Arkologie wissen¸ desto besser. Je schöner wird für sie der Moment sein¸ wenn ihnen das entscheidende Licht aufgeht. ->
Der Band ist mit 150 Seiten recht umfangreich. Da zumindest die ersten Abenteuer recht lose zusammenhängen¸ läßt sich der Beginn dieser Kampagne recht kurzfristig vorbereiten - und nach und nach komplett erarbeiten. Dies wird auch durch die anfangs recht kompakten Beschreibungen unterstützt.
Zwischen den einzelnen Abenteuern bietet sich für erfahrene Spielleiter genug Raum für eigene Zwischenspiele¸ die sich neben den vorgeschlagenen "Brückenhandlungen" einbauen lassen.
Sehr positiv sind mir zudem die mancherorts eingebauten "mehrfachen Optionen" und Hinweise aufgefallen¸ mit denen sich Szenen auf den Geschmack der jeweiligen Zielgruppe anpassen lassen.
Jede Szenen-Beschreibung besteht aus den Unterpunkten Was ist los¸ Chummer? (Kurzbeschreibung der Szene)¸ Sag's ihnen ins Gesicht (Eröffnungsbeschreibung zum Vorlesen)¸ Atmosphäre (Statusbericht der zu vermittelnden Gefühle)¸ Hinter den Kulissen (SL-Infos um die Szene zu meistern)¸ Daumenschrauben (Hinweise um den Run zu verschärfen) und Keine Panik (Hinweise was zu tun ist¸ wenn die Runner Scheiße bauen).
Technisches:
Hmm¸ die Illustrationen (abgesehen vom Cover natürlich) erreichen bei mir nur eine durchschnittliche Wertung¸ weil der teils freakige Comic-Stil nicht ganz mein Ding ist. Gott sei dank¸ werden die Illus im Laufe des Bandes weniger und dafür besser. An den Gelände- oder Gebäudeplänen laßt sich dafür nicht rummeckern - die sind sauber gemacht.
Die Abenteuer-Beschreibungen sind sauber geschrieben und sinnvoll strukturiert - leider muß man durch den formalen Aufbau der Szenenbeschreibungen¸ häufig Sachverhalte doppelt oder gar dreifach durchlesen (Deja-vu-Effekt). Die einzelnen Abenteuerideen sind gut durchdacht (bis auf wenige Stellen¸ die mir zumindest ein Stirnrunzeln entlockten) und führen die Spieler recht raffiniert auf den vielleicht dicksten Run ihrer Karriere.
Fazit:
Brainscan ist eine ziemlich heftige Kampagne für erfahrene Runnergruppen mit vielseitigen Talenten. Zumindest reichlich Wummen und ein sehr guter Decker müssen mit von der Partie sein - ein wenig magische Unterstützung hat zudem noch keiner Gruppe geschadet.
Bis auf die Illustrationen fand ich diesen Band ziemlich genial und konnte mich dem sofortigen Lesen auch nicht entziehen. Neben den absolut interessanten Hintergrundinfos über die Arkologie und die KI¸ zeichnet sich die Kampagne vor allem durch ihre "Erst Denken - dann Schießen!"-Taktik aus¸ die vor allem coole Runner belohnt und schießwütige Narren dahin befördert¸ wo sie hin gehören: in die Gosse.
Dogio the Witch |